Die internationale Lasercommunity ehrt Photonik-Visionär Professor Reinhart Poprawe für sein Lebenswerk

Eine Ära geht zu Ende: Sein ganzes berufliches Leben lang prägte Prof. Reinhart Poprawe den technologischen Fortschritt in der Photonik und baute gezielt Nachwuchs für die Branche auf. Nun geht der Laser-Visionär im Herbst 2019 in den Ruhestand. Mit dem Symposium »Digital Photonic Production und Industrie 4.0 – was heißt das für Bildung und Forschung?« am 23. Juni 2019 im Vorfeld der Weltleitmesse LASER World of PHOTONICS in München würdigten 280 Laser-Experten und Wegbegleiter sein Wirken als Professor der Lasertechnik, seine Verdienste in der Grundlagen- und Auftragsforschung sowie die Vernetzung von Industrie und Wissenschaft.

Reinhart Poprawe zeichnet aus, dass er Theorie und Praxis gleichermaßen kennt: Der studierte Physiker machte bereits ab Mitte der 1980er Jahre – in den Pionierzeiten der damals noch sehr jungen Lasertechnik – als Abteilungsleiter am Fraunhofer ILT erste Erfahrungen mit laserspezifischen Verfahrensentwicklungen. Dieses Wissen setzte er anschließend als Geschäftsführer der Thyssen Laser-Technik GmbH in Aachen in die industrielle Praxis um. Mit diesem handfesten, industriegereiften Know-how im Gepäck ging er 1996 zurück in die Welt der Lehre und angewandten Forschung und übernahm die Leitung des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT sowie des Lehrstuhls für Lasertechnik LLT der RWTH Aachen. Seinem großen Engagement ist es zu verdanken, dass das Fraunhofer ILT mit seinen assoziierten Lehrstühlen als die europaweit größte Einrichtung der angewandten Laserforschung und Auftragsentwicklung für die Industrie gilt. Sicherlich wäre auch der Münchener Gelehrte Joseph von Fraunhofer stolz auf diese Schaffenskraft. »Unser Namensgeber war in den Optischen Technologien tätig und hat Innovationen immer mit Blick auf die Anwendungsmöglichkeiten gesehen«, führt Prof. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, in seiner Videobotschaft aus und wendet sich direkt an Poprawe: »Die Möglichkeiten der Lasertechnik sind während deiner aktiven Zeit massiv gewachsen, daran haben du und dein Team in Aachen einen signifikanten Anteil.«

 

Vernetzung von Wissenschaft und Forschung in neuer Dimension

Hochrangige Vertreter aus Wissenschaft und Industrie, darunter Dr. e. h. Peter Leibinger, stellv. Vorsitzender der Geschäftsführung der TRUMPF Gruppe, Dr. Reinhard Pfeiffer, stellv. Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe München, der ehemalige Fraunhofer-Finanzvorstand Prof. Alfred Gossner sowie der ehemalige RWTH-Rektor Prof. Burkhard Rauhut und der amtierende RWTH-Rektor Prof. Ulrich Rüdiger sind sich einig: Poprawe hat mit seinem konsequenten und visionären Wirken in der Photonik Maßstäbe geschaffen. Als Prorektor für Forschung, Struktur und wissenschaftlichen Nachwuchs der RWTH Aachen ist Prof. Poprawe Mit-Initiator des RWTH Aachen Campus, der mittlerweile zu einer der international bedeutendsten Technologielandschaften heranwächst und innovative Köpfe aus Industrie und Wissenschaft an einem Ort zusammenwirken lässt. Unter Poprawes Leitung beschäftigt sich das Cluster Photonik seit 2010 mit neuen Wegen zur Erzeugung, Formung und Nutzung von Licht, insbesondere als Werkzeug für die industrielle Produktion. Rund 30 Unternehmen haben sich mit ihren Laserexperten in diesem Umfeld bereits angesiedelt und nutzen die kurzen Wege für neue Ideen und kreative Lösungen zu anstehenden technologischen Fragestellungen. Private Investoren schufen dafür auf dem Campus die baulichen Voraussetzungen. Mit dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungscampus Digital Photonic Production DPP werden in diesem Umfeld neue Formen der langfristigen und systematischen Kooperation zwischen RWTH Aachen, Fraunhofer-Gesellschaft und Industrie etabliert – ein Ergebnis des persönlichen Engagements von Prof. Poprawe und seinem Aachener Team.

 

Innovativ, interdisziplinär, international

Die Spektrum der Innovationen des Fraunhofer ILT in der Ära Poprawe reicht von der Entwicklung der Innoslab-Laser und der ersten diodengepumpten Multi-kW-Festkörperlaser für industrielle Anwendungen über die Entwicklung und den Einsatz von Hochleistungs-Ultrakurzpulslasern bis hin zur Verfahrens- und Systementwicklung für das Laser Powder Bed Fusion LPBF und das Extreme Hochgeschwindigkeits-Laserauftragschweißen EHLA. All diese teils mehrfach prämierten Innovationen wurden durch hoch motivierte Ingenieure und Naturwissenschaftler entwickelt, denen Reinhart Poprawe äußerst kreative Freiräume mit einer herausragenden Infrastruktur und einer förderlichen Institutskultur bot. Im Durchschnitt entstand in den Jahrzenten seines Wirkens am Fraunhofer ILT alle drei bis vier Wochen ein Patent. Aus diesem Umfeld gründeten sich in 20 Jahren rund 30 Unternehmen aus, die Prof. Poprawe mit seinen Netzwerken aktiv in der kritischen Anfangsphase unterstützte.

Die Person Poprawe lässt sich aber nicht nur auf die Dimension innovativ reduzieren. Vielmehr pflegt er über Grenzen zu denken und zu handeln. Somit stand Interdisziplinarität immer im Zentrum seines Wirkens. Aus der Zusammenarbeit der Additive Manufacturing-Experten des Fraunhofer ILT und innovativen Medizinern entstanden beispielsweise in Deutschland die ersten gedruckten Hüftimplantate, die klinisch eingesetzt wurden. Innerhalb des Clusters Photonik der RWTH Aachen hat Reinhart Poprawe mit dem Research Center Digital Photonic Production (RCDPP) einen strategischen Institutsverbund angestoßen, in dem 16 Institute aus sechs Fakultäten der RWTH Aachen im Bereich der Grundlagenforschung photonischer Technologien kooperieren. Auch die Zusammensetzung der Wissenschaftler und Ingenieure am Fraunhofer ILT und an den assoziierten Lehrstühlen ist durch Interdisziplinarität geprägt. In seiner Amtszeit wuchs die Zahl der Beschäftigten von 250 auf insgesamt rund 800 Laserexperten und angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Fraunhofer ILT, den assoziierten Lehrstühlen und im Cluster Photonik. Dafür steht mittlerweile eine Fläche von rund 30 000 m² für FuE-Aktivitäten zur Verfügung.

 

Ausgezeichnete globale Innovationskraft

Zu den zahlreichen Auszeichnungen von Prof. Poprawe zählen der Arthur L. Schawlow Award des Laser Institute of America (LIA) 2014 und die Ehrenprofessur der Tshingua University in Peking im selben Jahr. Sie stehen für sein internationales Engagement, das sich über alle Kontinente erstreckte. Besonders aktiv war der Physiker, der schon während seiner Studienzeit zeitweise im Ausland lebte, in den USA, China und Japan. Auch auf europäischer Ebene engagierte sich Prof. Poprawe über die Public Private Partnership (PPP)-Institution Photonics21 intensiv bei der Etablierung von Forschungsprogrammen mit internationaler Tragweite. Vielfach wurde sein Wirken wie mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis 1987, dem Innovationspreis des Landes Nordrhein-Westfalen 2011 und kürzlich mit der Fraunhofer-Münze bereits gewürdigt.

 

Bildung als Herzensangelegenheit – zum Nutzen der Gesellschaft

Eine Vorbildrolle übernahm Poprawe beim Vermitteln des Lehrstoffes. Gerne führte er neue Lehrformate wie beispielsweise die »Flipped Classrooms« ein. Nicht umsonst zeichneten ihn die Studierenden vier Mal mit dem Lehrpreis der Fakultät Maschinenwesen der RWTH Aachen aus. In seiner Zeit als Lehrstuhlinhaber war er zudem Erstgutachter bei über 200 Promotionen. Grund genug, damit 60 seiner ehemaligen Doktorandinnen und Doktoranden ihm während des Ehrensymposiums in München feierlich einen Doktorhut »made by RWTH Chair LLT« überreichten. Die Weitergabe von Wissen sowie das berufliche und persönliche Wachstum junger Nachwuchswissenschaftler waren und sind ihm eine Herzensangelegenheit. »Die Studierenden müssen neben dem unerlässlichen Fachwissen auch ein frühzeitiges Bewusstsein ihrer Bedeutung für die Photonik-Industrie entwickeln. So lassen sie sich dazu motivieren, ihre Kreativität später für gesellschaftsrelevante Themen einzusetzen«, lautet Poprawes Credo. 

Prof. Dr. rer. nat. Reinhart Poprawe

Kurzbiographie

Prof. Dr. Reinhart Poprawe erhielt 1977 einen Master in Physik von der California State University in Fresno. Nach dem Diplomabschluss und seiner Promotion in Physik (Darmstadt 1984) begann er seine Arbeit am Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT in Aachen als Abteilungsleiter »Laser-Orientierte Verfahrensentwicklung« 1985. Von 1989 bis Januar 1996 war er Geschäftsführer der Thyssen Laser-Technik GmbH in Aachen.

Seit Februar 1996 ist er Direktor des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT und Professor für Lasertechnik an der RWTH Aachen University. Prof. Poprawe ist Fellow in diversen wissenschaftlichen Vereinigungen, so in der Society of Manufacturing Engineers in USA SME (1998), im Laser Institute of America LIA (2006) und in der SPIE (2012) sowie in der Max Planck School of Photonics (2019). Er ist Boardmitglied des Laser Institute of America (LIA) und Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen Boards als Gutachter oder Berater, z.B. im National Laser Centre of South Africa NLC. Zwischen September 2005 und September 2008 war er Pro-Rektor für Struktur, Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs. Er ist Vorsitzender des RWTH-International Board und Rektoratsbeauftragter für China und erhielt 2014 eine Honorarprofessur der renommierten Tsinghua Universty in Peking. Des Weiteren wurde er 2017 mit dem Peter M. Baker Leadership Award des Laser Institute of America LIA ausgezeichnet.

© Fraunhofer ILT, Aachen / A. Steindl.

Lebenslauf

Familienstand verheiratet mit Anette Poprawe, vier Kinder
Geburtsdatum und -ort 23. Januar 1954 in Offenbach/Main
April 1960 – März 1965 Grundschule Falkenstein/Ts
April 1965 – Juni 1973 Taunusschule Königstein (Abitur)
Oktober 1973 – Juli 1975 Physikstudium an der Universität Mainz (Vordiplom am 21. April 1975) 
November 1975 – Februar 1976 Werkstudent bei Carl Zeiss Oberkochen
Februar 1976 – Juli 1976 Physikstudium an der Universität Mainz
September 1976 – September 1977 Physikstudium an der California State University, Fresno (Master of Arts am 12. August 1977)
März 1978 – Mai 1980 Physikstudium an der Technischen Hochschule, Darmstadt (Diplom am 5. Mai 1980)
Juni 1980 – März 1985 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Hochschule Darmstadt (Promotion am 27. Juli 1984)
April 1985 – Mai 1989 Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT, Aachen
Juni 1989 – Januar 1996 Geschäftsführer der Thyssen Laser-Technik GmbH Aachen
seit Februar 1996 Institutsleiter am Fraunhofer-Institut Lasertechnik ILT Aachen und Leiter des Lehrstuhls für Lasertechnik LLT, RWTH Aachen University
Juli 2005 – September 2008 Prorektor für Forschung, Struktur und wissenschaftlichen Nachwuchs und stellvertretender Rektor der RWTH Aachen University
seit Januar 2010 Rektoratsbeauftragter China und Sprecher der Länderbeauftragten der RWTH Aachen University
Januar 2012 – Dezember 2012 Präsident des Laser Institute of America (LIA)
seit Juli 2013 Geschäftsführer des Cluster Photonik der RWTH Aachen University
Dezember 2015 – Dezember 2018 Mitglied im Präsidium der Fraunhofer-Gesellschaft und Vorsitzender des Fraunhofer-Verbunds Light&Surfaces

Expertise

Laseranwendung:

Bohren, Trennen, Fügen (Schweißen, Löten), Oberflächenveredelung, Lasergenerieren, Rapid Manufacturing, Polieren, Direkte Produktion, Mikrotechnik, Systemtechnik, Prozessüberwachung und –regelung, Photonik in den Lebenswissenschaften.

Laserentwicklung:

Diodengepumpte Festkörperlaser, Diodenlaser, Pumpmodule und Verstärkermodule für multisektorielle Anwendung (Informations- und Kommunikationstechnologie, Display, EUV-Lithographie, ps-, fs-Laser), kohärente Kopplung, inkohärente Überlagerung, Strahlformung in Raum und Zeit, Kurzpulslaser, Produktionsverfahren für Diodenlaser.

Plasmatechnik:

Prozess-Sensorik für Laserverfahren, laserinduzierte Plasmen, EUV-Quellen für Lithografie und Mikroskopie, XUV-Quellen, laserinduzierte Stoffanalyse (LIBS).

Ehrungen

  • Fraunhofer-Preis (22. Oktober 1987)
  • Fellow der Society of Manufacturing Engineers (SME) (1998)
  • Fellow des Laser Institute of America LIA (2006)
  • Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften (2006)
  • Innovationspreis des Landes Nordrhein-Westfalen für »Generative Laser-Fertigungsverfahren« (2011)
  • Fellow der International Society for Optics and Photonics SPIE (2012)
  • Lehrpreis der Fakultät für Maschinenwesen der RWTH Aachen University (2013–2017)
  • Honorary Professor der Tshingua University Peking (2014)
  • Arthur Schawlow Award (2014)
  • Fellow of IAPLE (2015)
  • »Peter M. Baker Leadership Award« (2017)
  • Fellow of the Max Planck School of Photonics (Februar 2019 – Februar 2021)

Funktionen und Ämter

  • Mitglied im Vorstand des National Laser Centre of South Africa (2001–2010, seit 2017)
  • Mitglied im Fachkollegiat »Produktionstechnik« der DFG (2004–2011)
  • Mitglied im Beirat der EdgeWave GmbH
  • Mitglied im Vorstand des Arbeitskreis Lasertechnik AKL e. V. (stellv. Vorsitz)
  • Mitglied in der Society of Manufacturing Engineers (SME)
  • Mitglied am Laser Institute of America (LIA), Präsident im Jahr 2012
  • Mitlgied der SPIE (USA)
  • Mitglieder der European Technology Platfrom Board of Stakeholders Phtonics 21
  • Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften
  • Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft Lasertechnik e. V. (WLT) (seit 1997)
    Präsident 2004–2008
  • Mitglied des High-Tech Gründerfonds HTGF (2008–2017)
  • Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften
  • Geschäftsführer des Cluster Photonik der RWTH Aachen University (2013)
  • Vorsitzender am BMBF-Forschungscampus Digital Photonic Production (2014–2019)
  • Vorsitzender des Sonderforschungsbereichs 1120: Präzision aus Schmelze (seit 2014)

Publikationen und Lehre

  • mehr als 600 Veröffentlichungen seit 1985
  • mehr als 200 wissenschaftliche und überwiegend industrielle keynote-Vorträge
  • rund 40 Patente
  • mehr als 10 Bücher (Autor und Herausgeber), unter anderem »Lasertechnik für die Fertigung«
  • Chefredakteur des »Journal of Laser Applications (JLA)«
  • Lehre am Lehrstuhl für Lasertechnik der RWTH Aachen University seit 1996
  • Einrichtung eines »flipped classroom« in 2016
  • Mehr als 200 Doktoranden